DER MENSCH IST DES MENSCHEN WOLF
Der Mensch ist des Menschen Wolf
Es sind zunächst vertraute Bilder aus der Renaissance- und Barock-Zeit geformt aus an Kindertage erinnernde Knetmasse in leuchtenden Farben, die den Betrachter anlocken. Jedoch herrscht auf den Bildern von Inna Levinson Krieg und Folter. Den Höllenlandschaften quälender Menschen und Dämonen nimmt die Künstlerin so ihren Schrecken, indem sie die dargestellten Figuren und Szenen deutlich überstilisiert und in grellbunte Knetmasse taucht. Die einzelnen Komponenten – Material, Farbigkeit und verunstaltete Körperformen – demonstrieren mit viel Ironie, dass furchterregende Marterszenen ihre angsteinflößende Wirkung auf den zeitgenössischen Betrachter verloren haben.
Die Szenen spielen sich hinter Glas und oft in gebrauchten, weißen Fensterrahmen ab. So weckt Inna Levinson einerseits die Neugierde des Betrachters in oder durch dieses Fenster auf eine leuchtend farbige Szene zu blicken, schließt ihn gleichzeitig aber auch aus der Szenerie aus. Der Betrachter ist ohnmächtig, er kann in die Situation nicht eingreifen oder sie ändern. Die vorgegebene Gliederung der Bogen- und Rahmenfenster nutzt die Künstlerin teilweise auch, um den Bildaufbau der Ikonenmalerei des Christentums aufzugreifen.
Zahllose Leichen schwimmen beispielsweise im Wasser unter der Brücke vor dem wunderschönen Hintergrund blühender Landschaft. Die Vorlage für„Suizidbrücke“ von 2013 lieferten die Bilder Monets von seinem Garten in Giverny. Wie Monet in seiner Serie mit dem Titel „Die japanische Brücke“ zeigt Inna Levinson eine frontal ausgerichtete Brücke in äußerst üppiger Ufervegetation. Diese nimmt fast das gesamte Bild ein gemeinsam mit einer Wasserfläche, die durch Spiegelungen und Lichtreflexen mit der Flora verschwimmt. Doch statt Seerosen und Lilien treiben bleiche Frau- en- und Männerleichen sowie Totenschädel wie Blattwerk im Wasser. Die blühenden Blumen haben sich ins Gegenteil, in tote Körper, verkehrt. Die Knetfiguren sind jedoch so überspitzt durch ihre enormen primären und sekundären Geschlechtsmerkmale und die Totschädel ebenfalls so comic- haft dargestellt, dass der Betrachter unweigerlich schmunzeln muss.
Die ursprüngliche Geschichte oder Aussage des Bildes stellt dabei kei- nerlei Orientierung dar. So erzählt sie beispielsweise die Geschichte der Ophelia in ihrer Arbeit „Der Fund“ von 2013 voll schwarzem Humor weiter, lässt zwei kleine Kinder die Leiche finden und sie mit einem Stock pie- ken. Die Ironisierung der Malerei, durch klischeehafte Darstellung und Rahmung von Landschaften und Stillleben, hatte sie zunächst malerisch betrieben. In der Knetmasse hat sie nun ein noch viel geeigneteres Mittel für diesen Zweck gefunden.
Inna Levinson kombiniert dabei oft auch mehrere Bildzitate in einem Werk und ergänzt die neue Bildszenerie durch zeitgenössische Gegen- stände. Das Bild „Der Flug“ zeigt beispielsweise das Motiv des bekannten Höllensturzes, indem jedoch nicht nur Menschen, sondern auch Flug- zeugteile abstürzen. So vermischt die Deutung, der durch Sünden in die Hölle gestoßenen Menschen, mit der Auslegungsvariante, dass die Menschen sich durch ein fremdverschuldetes Flugzeugunglück im Fallen vielleicht retten und aneinander fest halten wollen oder sich im Absturz immer noch bekriegen.
Sie schenkt den Hintergründen dabei viel Aufmerksamkeit, arbeitet sie detail- sowie farbreich aus. Genau wie ehemals als Malerin auf der Palet- te, mischt sie nun Plastilins verschiedener Farben zu den differenzierten Farbtönen, aus denen sie ihre Bildwelten aufbaut. Doch Landschaften gänzlich ohne Figuren finden sich nicht unter ihren Werken. Der Kampf der Menschen miteinander, auch als personifizierte Dämonen oder Tie- re, ist das Thema von Inna Levinson. Ihr Eindruck der Welt und unseres Alltags als ständigen Kampfes unter Konkurrenten um Dominanz, spie- geln sich in den Bildern. Kampfszenen bilden somit für die Künstlerin das alltägliche Verhalten der Menschheit am treffendsten ab, auch Sexualakte dienen der Verbildlichung von Machtausübung in ihren Werken. In all dem Kampfgetümmel gibt es dabei keine Guten oder Bösen, die Figuren übernehmen stets beide Rollen, so fallen beispielsweise in der Arbeit „Hunger“ von 2013 Mensch und Löwe übereinander her, beide töten um zu überleben.
Inna Levinson schafft eine schöne bunte, wenn auch brutale Welt. Doch die Künstlerin ist stets der Schöpfer ihrer Welten und dominiert jede Figu- ren auf dem Spielfeld – kreiert und zerdrückt sie alle gleichermaßen, ob Mensch, ob Monster.
Carolin Modes